Tagespresse-Gründer Fritz Jergitsch über Social Media, Medienkritik und Satire in Österreich

Fritz Jergitsch (c) Markus Wache

Meister der Satire und Head of österreichische Medienkritik Fritz Jergitsch erschuf im Jahr 2013 als „Österreichs seriöseste Online-Zeitung“ das Satiremagazin Die Tagespresse. Die frei erfundenen Artikel erlangten schlagartig große Popularität. Drei Jahre später feierte Die Tagespresse Show dann im Wiener Rabenhof Theater Premiere. Nach einem weiteren Jahr schaffte es Jergitsch mit seiner Idee ins Fernsehen und öffnete mit Tagespresse aktuell die Tür ins TV. Neben einer Auszeichnung mit dem Österreichischen Kabarettpreis und dem kürzlich veröffentlichten Buch Die Geister, die ich teilte darf Fritz Jergitsch weitere kreative Tätigkeiten, beispielsweise als freier Autor beim ORF, bei Puls 4 und beim Falter, auf seiner Haben-Seite verbuchen. Im 1000things Podcast spricht der gebürtige Wiener über die österreichische Medienlandschaft, seinen beruflichen Werdegang, darüber, was eigentlich hinter dem Schaffensprozess eines Online-Mediums steckt und wie er New-Work-Konzepte in seinem Unternehmen verwirklicht.

Fritz jergitsch (c) Katharina Kiesenhofer | 1000things
Fritz Jergitsch im 1000things Interview (c) 1000things

Satire in Zeiten von Pandemie und politischen Wirrungen

1000things: Brandaktuell liest man heute am 18. Oktober, dass ihr die Klage gegen den ÖVP-Politiker und Nationalratsabgeordneten Andreas Hanger zurückgezogen habt. Magst du kurz umreißen, worum es da ging und ob ihr mit einem erfolgreichen Ausgang gerechnet hättet?

Fritz Jergitsch: Angefangen hat es damit, dass wir 712 Euro in Form von Regierungsinseraten bekommen haben. Wir haben die Praxis der Medienkorruption immer kritisiert, da es Medien in ein ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis lockt. Deshalb wollten wir das Geld an den Steuerzahler zurückgeben. Nachdem eine Klage beim Wiener Handelsgericht 790 Euro kostet, haben wir beschlossen, eine solche gegen Andreas Hanger einzureichen. Unser Ziel war es, dass Andreas Hanger nicht mehr verdeckt als Satiriker handeln darf, sondern sich outen muss, so wie wir. Das zweite Ziel war es, seine Rhetorik zu entlarven. Wir haben einen Top-Anwalt engagiert, der eine mehrseitige Klageschrift verfasst hat. Die einstweilige Verfügung wurde schon abgelehnt, das heißt, die 712 Euro, die wir retournieren wollten, liegen bereits beim Gericht. Nach den Ereignissen der letzten Wochen, also den Hausdurchsuchungen bei der ÖVP, sind wir aber nun der Meinung, dass die Justiz entlastet gehört. Wir wollen, dass alle Kapazitäten zur Verfügung stehen, damit die Ermittlungen möglichst schnell durchgeführt werden können. Deshalb haben wir die Klage zurückgezogen und unsere eigenen Ansprüche zurückgestellt.

Dann danken wir herzlichst für das Retournieren unserer Steuergelder. Zu etwas noch Aktuellerem: Kernpersonen der ÖVP, den Brüdern Wolfgang und Helmuth Fellner von oe24 und zwei Meinungsforscherinnen werden Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue vorgeworfen [Anm. d. Red.: Es gilt die Unschuldsvermutung, Stand Oktober 2021]. Wie siehst du in diesem Kontext die Lage der Medien in Österreich?

Wir haben schon seit Jahren eine völlig paradoxe Situation: Die Journalist*innen und Medien bezeichnen sich gerne als die vierte Säule im Staat. Doch diese vierte Säule ist abhängig von der Regierung, von Förderungen und Inseraten. Ich will nicht in den Raum stellen, dass alle Medien käuflich seien – einige machen einen wirklich guten Job. Aber ich glaube, das Problem ist nicht die Käuflichkeit, sondern die Frage: Was tun wir, wenn mal jemand wie Orbán an die Macht kommt? Das ist nicht unwahrscheinlich. Strache war 2016 schon Nummer eins in den Umfragen. Wer wirklich glaubt, dass jemand wie Strache weiterhin einen Falter, einen Standard gefördert hätte, dem ist nicht mehr zu helfen.

Die Medien sind unfähig, sich zu wehren, weil sie sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben haben. Beim jetzigen österreichischen Umfrage-Skandal sieht man, wie anfällig das System für Korruption ist. Wenn die Österreich jedes Quartal Millionen bekommt, kann man nicht sagen, dass das überhaupt keinen Einfluss auf die redaktionelle Arbeit ausübt. Mein Lösungsvorschlag ist, dass man die Vergabe von Inseraten nur mehr unter extrem strengen Voraussetzungen erlaubt. Wenn ein Ministerium inserieren will, muss man wissen, ob ein legitimes Informationsinteresse besteht. Das jetzige System wurde unter Faymann erstellt und von Kurz perfektioniert. Sie haben verstanden, dass man dadurch einfach gute Berichterstattung in Boulevardmedien bekommt.

An dem neuesten Beispiel haben wir gelernt: Social Media, Nachrichten und wohl auch Umfragen können gezielt zur Manipulation verwendet werden. In deinem Buch Die Geister, die ich teilte rechnest du ja ziemlich mit den Sozialen Medien ab. Wie stehst du konkret zu Facebook und Co?

Ich hasse Facebook nicht, wir sind ja selbst über die Plattform groß geworden. Das Problem ist, dass sie machen können, was sie wollen, ohne, dass die Regierungen oder die EU irgendeine Handhabe darüber haben. Soziale Medien sind profitorientiert, was ja per se nichts Außergewöhnliches ist. Sie wollen uns möglichst lange an die Bildschirme fesseln, weil sie dadurch mehr Werbung verkaufen, und passen ihre Newsfeed-Algorithmen dementsprechend an. Das führt dazu, dass wir neben unterhaltsamem Content oft auch Fake News und Inhalte sehen, die uns Angst machen. Denn Polarisierendes funktioniert besonders gut. Mittlerweile wird dieser Mechanismus auch von Autokraten missbraucht: Sogar Donald Trump hat gesagt, dass er ohne Twitter mittlerweile nicht mehr existieren würde.

Wie kann man Leser*innen erreichen, ohne selbst in diese Kerbe zu schlagen?

Prinzipiell glaube ich schon, dass auch wir von den Sozialen Medien sehr profitieren. Es funktionieren nicht nur wütend machende Inhalte sehr gut, sondern auch Humor. Wir sind anfangs regelrecht explosiv gewachsen, weil die Leute Fake News auf Facebook noch nicht gekannt haben. Im Jahr 2013 haben wir gestartet und die User*innen waren verwirrt, als da über den Artikeln Die Tagespresse stand, mit seriösem Logo und einer seriösen Aufmachung. Wir sind einfach im Newsfeed aufgetaucht und die Leute haben uns geglaubt. Auch ich bin auf Die Tagespresse gekommen, indem ich auf einen Artikel vom Postillon hereingefallen bin. So haben wir auch sehr von den Mechanismen profitiert, und profitieren wahrscheinlich immer noch zu einem Teil davon. Das hält mich aber trotzdem nicht davon ab, Soziale Medien und das, was sie mit uns als Gesellschaft machen, zu kritisieren. Wir generieren unsere Leser*innen inzwischen auch nicht nur über Soziale Medien, sondern haben auch unsere eigenen Kanäle, eine App und einen Newsletter.

Wie entgeht man als User*in der Fake-News-Falle? Worauf sollte man achten?

Wesentlich ist, auf die Quelle zu achten, wobei auch das immer schwieriger wird. Wenn man zum Beispiel heute ServusTV aufdreht, werden auch da Unwahrheiten verbreitet, muss man ehrlicherweise sagen. Es wird immer schwieriger, das zu hinterfragen und User*innen sollten sich klar sein, dass ein Klimawandelleugner auf Facebook genau gleich aussieht wie ein Klimaforscher, der den Nobelpreis gewonnen hat. Es ist auf den Sozialen Medien wirklich schwierig zu unterscheiden, was seriös ist und was nicht. Wir müssen eigentlich schon in Schulen Quellenkritik unterrichten.

Fritz Jergitsch (c) Katharina Kiesenhofer | 1000things
Fritz Jergitsch: „Ein Klimawandelleugner schaut auf Facebook genau gleich aus wie ein Klimaforscher, der den Nobelpreis gewonnen hat.“ (c) 1000things

Die Tagespresse aus der Innenperspektive

Spulen wir mal kurz zurück: Verrätst du uns, wer genau hinter eurem Satire-Blatt steckt? Wie kam es zur Gründung, wie viele seid ihr und wie verteilen sich die Positionen?

Wir haben ein Redaktionsteam, das bei uns im Büro sitzt, aber auch Autor*innen, die uns als freie Mitarbeiter*innen unterstützen. Im Büro sind wir zu viert, das ist sozusagen die Chefredaktion. Wir kommunizieren sehr viel über das Internet, nutzen den Facebook Messenger und Google Docs, um Ideen auszutauschen. Das ist für uns sehr nützlich, weil wir auf Ideen von anderen aufbauen können. Sehr viele Headlines müssen drei- bis viermal um die Ecke gedacht werden, bis man bei der richtigen ankommt. Ich habe wirklich schon von überall auf der Welt aus Artikel geschrieben, und auch die Leute, die bei uns mitschreiben, sind sehr unterschiedlich. Eine ist eine tatsächliche Kabarettistin, einer hat einen normalen Nine-to-five-Job, einer ist Psychiater.

Arbeitet ihr also auch nach dem New-Work-Modell?

Wir hatten nie das klassische Modell, das man von anderen Redaktionen kennt, wo man immer montags um 12 Uhr eine Sitzung hat. Es passiert so vieles so schnell. Es bringt nichts, wenn wir uns am Montag zusammensetzen und überlegen, was wir am Freitag schreiben.

Wie geht ihr mit dem täglichen Zeitdruck um?

Der Druck ist dann stärker, wenn wenig passiert. Aber auch dann sind wir mindestens vier Leute, die nichts anderes machen, als sich Headlines auszudenken. Wir versuchen, mindestens einen Text pro Tag zu veröffentlichen. Wenn mal weniger passiert, greifen wir auf zeitlose Themen zurück. Doch wenn wirklich sehr schnell sehr viel auf einmal passiert, wie zum Beispiel bei den ÖVP-Hausdurchsuchungen, dann willst du als Medium auch zu diesem aktuellen Thema rasch was bringen, weil du dann auch deine eigene Relevanz erhöhst. Wie ich Die Tagespresse alleine gestartet habe, empfand ich das schon als Druck. Aber je mehr Hirne mitdenken, desto einfacher wird es dann auch. Heute empfinde ich es als Job, der mir große Freude macht.

Wie haben sich eure Facebook-Zugriffe mit den Jahren verändert?

Im Vergleich zum Jahr 2017 bekommen wir heute sicher nur mehr die Hälfte der Klicks. Das liegt zum einen daran, dass Facebook weniger Nutzer*innen hat, aber auch am Newsfeed-Algorithmus, der noch stärker persönliche Inhalte bevorzugt. Seit einem halben Jahr sehe ich zum Beispiel nur noch Fußball- und Formel-1-Videos, obwohl ich beides überhaupt nicht gerne schaue. Facebook experimentiert da sehr viel. Doch für uns ist die Plattform gar nicht mehr so wichtig. Wir haben unsere App, die Leute in unser Ökosystem holt und für wiederkehrende Leser*innen sorgt. Wir nutzen auch Instagram, das finden wir einen coolen Kanal. Da verlinken wir jedoch nichts, weil wir es lieber haben, wenn die Leute unsere App herunterladen, als dass wir ein paar dutzend Klicks durch eine Story generieren. Jemand, der unsere App runterlädt, hat uns dann am Handy, wo wir mit Notifications viel präsenter sind. Das passt auch besser zu unserer Strategie, langfristige, wiederkehrende Abonnent*innen zu haben.

Wie hängt die App mit eurer Paywall auf der Website zusammen?

Egal, ob man uns auf der Website oder in der App liest: Man bekommt immer drei Gratis-Artikel im Monat. Wenn man diese aufgebraucht hat und weiterlesen will, wird man aufgefordert, uns durch ein Abo zu unterstützen. Das ist für uns ein cooles Modell. Wir sind von unseren Leser*innen abhängig und haben so den Ansporn, immer besser und lustiger zu werden, relevant zu bleiben. Das ist nicht nur für uns, sondern für alle Medien ein tolles Finanzierungsmodell, weil die ökonomischen Anreize von vorne bis hinten kohärent sind: besser schreiben, bessere Artikel machen – und so mehr Abonnent*innen bekommen.

Wie habt ihr euch vor der Paywall finanziert?

Davor haben wir uns mit Werbung finanziert, teilweise mit Bannerwerbung, teils mit redaktioneller. Das hat einige Jahre gut funktioniert, vor allem, als wir noch viele Klicks über Facebook bekommen haben. Die Bannerwerbung funktioniert nicht mehr so gut wie früher, denn hier machen inzwischen die Tech-Anbieter das meiste Geld, die Zugriffsdaten auswerten können. Das können und wollen wir nicht. Alle Daten von meinen Besucher*innen zu speichern und auszuwerten, das könnte ich ohne Bauchweh nicht. Die redaktionelle Werbung hat einige Zeit lang gut funktioniert, aber war dann auch eher mehr Agenturarbeit, die uns vom Satireschreiben abgelenkt hat. Darum haben wir das irgendwann auch eingestellt und machen jetzt nur noch Satire.

Wie viele Abonnent*innen habt ihr derzeit? Und wie hält sich bei euch die Balance zwischen Facebook- und Direktzugriffen?

Wir haben derzeit 9.000 zahlende Abonnent*innen. Ich würde schätzen, dass 20 bis 30 Prozent der Besucher*innen über Facebook kommen und etwa 40 Prozent über die App. Die App ist für uns inzwischen tatsächlich wichtiger. Wir haben jetzt auch einen Newsletter, den schon einige tausend Leute abonniert haben. Damit bekommt man täglich um 17 Uhr die Links zu den Artikeln des Tages zugeschickt. Instagram ist wie gesagt auch ein wichtiger Driver für uns, um die App-Downloads zu generieren. Da kriegen wir dann 10 bis 20 Installs pro Tag. Die App haben inzwischen um die 30.000 Leute.

Fritz Jergitsch (c) Katharina Kiesenhofer | 1000things
Fritz Jergitsch im Interview über Medienkritik, Social Media und Satire (c) 1000things

Was ist für die Zukunft geplant?

Ich würde mir wünschen, dass wir aktionistischer werden. Eben solche Dinge wie die Hanger-Klage, die Stronach-Fake-Kampagne, etc, das wollen wir öfter machen. Ich habe ein bisschen umgedacht, was unsere Rolle betrifft. Ich bin der Meinung, unsere Aufgabe in der Gesellschaft ist das, was uns relevant macht, und das ist unsere Art, Witze zu erzählen – über den Alltag, über das, was uns bewegt. Und ein Witz kann in Wirklichkeit ja alles sein: ein Tagespresse-Artikel, eine Geschichte, die ich abends bei einem Bier einem Kumpel erzähle, aber auch eine Klage wie am Beispiel Hanger, oder eben eine Fake-Kampagnen-Website, mit der man dann die Medien reinlegt. Damit würden wir gern noch ein bisschen experimentieren. Mit der Hanger-Klage haben wir die Aufmerksamkeit auf das Thema Medienkorruption und die destruktive Kampagne von Andreas Hanger lenken können. Ich glaube, mit der Tagespresse haben wir einen ziemlichen Hebel und können so unserer Rolle in der Gesellschaft gerecht werden. 

Zu guter Letzt noch die klassische 1000things Question: Wo treibst du dich gerne in Wien und Österreich herum, wenn du nicht gerade Leute durch den Kakao ziehst?

Ich setze mich am liebsten in die Schnellbahn nach Gumpoldskirchen. Die kommt alle 30 Minuten und man ist in einer halben Stunde an so einem schönen Ort, direkt bei den Weinbergen und den tollen Heurigen. Das mache ich zumindest einmal jährlich, meist, wenn es schon ein bisschen wärmer ist und man spazieren gehen kann. Das ist generell das Tolle an Wien: Mit den Öffis ist alles nur eine halbe Stunde entfernt. Wien ist eine Weltstadt und trotzdem überschaubar und hat auch noch so viel zu bieten. Das ist schon eine ziemlich einzigartige Kombi.

1000things bedankt sich für das tolle Gespräch!

Wenn euch das Interview mit Fritz Jergitsch genauso gefallen hat wie uns, dann klickt euch doch durch unsere weiteren Beiträge rund um die Medien- und Agenturwelt. Oder wollt ihr lieber mal die Augen vom Bildschirm abwenden und einfach nur hinhören? Alle unsere Interviews gibts auch als Podcast zu hören!

(c) Beitragsbild | Markus Wache