Die Werbebranche: Für Konstantin Jakabb einerseits kreatives Spielfeld, andererseits berufliches Zuhause seit vielen Jahren. Der Digital Native war als Geschäftsführer von „Vice“ und „Virtue“ in der Verantwortung für 140 Mitarbeiter*innen und kennt die österreichische Irgendwas-mit-Medien-Welt wie kaum ein Zweiter. Mit großem Repertoire an Know-how und etlichen Erfahrungen auf dem Buckel startete Konstantin Anfang 2021 seine Selbstständigkeit mit der Unternehmung „tochter“. Was der Kreativwirtschaftler zur eigenen Gründung, zu Teamführung, richtiger Kommunikation und einem progressiven Mindset zu sagen hat? Uns hat er es im Interview verraten …
Zwischen Gründungsvisionen und dynamischen Lernprozessen
1000things: Konstantin, du warst jahrelang in der Geschäftsführung bei „Vice“ und „Virtue“. Vor Kurzem hast du deine eigene Agentur „tochter“ gegründet. Wie kam es zu dem Schritt?
Konstantin Jakabb: Die Zeit als Geschäftsführer bei „Vice“ und „Virtue“ war sehr lehrreich. Als ich dort im Jahr 2011 angefangen habe, waren es gerade mal 20 Leute und alles war super frei organisiert. Dort fanden sich einfach Menschen mit einem ähnlichen Mindset zusammen. Es gab aber etwas, das total verbindend und eine Art Antrieb war: der Wille, Dinge besser zu machen. In diesem Jahrzehnt gab es viele Weiterentwicklungen, aber auch einige Enttäuschungen, was zum Leben dazugehört. Ich hatte sehr viel mit Menschen zu tun, war aber irgendwann sehr weit vom tatsächlichen Business und der echten Kommunikation mit Kund*innen entfernt. Aufgrund des großen Teams konnte ich einfach nicht mehr bei allen Projekten mitarbeiten, sondern habe mich darauf fokussiert, die Rahmenbedingungen für die Teams zu schaffen. Das war dann der Grund, das Unternehmen zu verlassen, um wieder etwas näher am tatsächlichen Geschehen dran sein zu können.
Was ist die Vision mit deiner neuen Unternehmung?
Ich habe mir noch nie große Ziele gesetzt, weder beruflich noch privat. Wir verfolgen mit „tochter“ bestimmte Werte mit einem inneren Antrieb. Für mich war auch ein Jobtitel oder die Kund*innengewinnung nie ein konkretes Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass man durch die Verbindung von Leuten mit Leidenschaft wirklich etwas erreichen kann. Um das herzustellen, muss ich mir nichts wünschen, sondern entsprechende Rahmenbedingungen schaffen: mich auf Dinge einlassen. Und zwar auf die, die man gut und mit Leidenschaft macht und für die es einen Markt gibt. Dabei versuchen wir, nicht mehr den Druck zu haben, jedes Projekt wirtschaftlich maximieren zu müssen. Da muss man im Kopf einen Schalter umlegen. Ich umgebe mich viel mit Coaches, Therapeut*innen und Expert*innen für HR und Gender-Thematiken und mit deren Hilfe kam und komme ich immer wieder zur Erkenntnis, dass es auf Zusammenarbeit und Austausch mit Expert*innen ankommt.
Stichwort Schalter umlegen: Wie schafft man es, verrostete Denkstrukturen abzulegen und ein dynamischeres Arbeitsumfeld zu schaffen?
Die Antwort darauf ist simpel: es sich einfach nicht vornehmen. Ich frage mich morgens nach dem Aufstehen nicht: „Wie sieht eigentlich New Work aus?“ Oder: „Welche drei modernen Dinge kann ich heute tun?“ Ich konzentriere mich darauf, wie das Leben für Individuen, das Kollektiv und das wirtschaftliche Unternehmen ist. Diese drei Seiten müssen passen, sonst funktioniert das große Ganze nicht.
„Beim Thema Diversity glaubt man oft, die Expertise zu haben.“
Bei 1000things legen wir, sowohl intern als auch extern, Wert auf Diversität und sind bemüht, uns in diesem Bereich weiter zu verbessern. Wie lebt ihr Vielfalt in deiner neuen Agentur bzw. wie hast du früher für Diversität im Unternehmen gesorgt?
Dazu hatten wir zwei Jahre lang eine externe Betreuung. Diversitätsmanagement fängt schon früh beim Bewerbungsprozess und der Bezahlung an und geht bis zur Meeting-Kultur und Team-Zusammensetzung. Gerade beim Thema Diversity glaubt man oft, die Expertise zu haben, bis man mit jemandem spricht, der*die tatsächlich Expert*in in dem Gebiet ist und man merkt, dass hier noch Nachholbedarf besteht. Hier möchte ich direkt Marita Haas hervorheben, die mit ihrem Gender-Support und ihrer Beratung exzellente Arbeit leistet. Es reicht nämlich nicht, einen Monat lang das eigene Logo in Regenbogenfarben zu tauchen, sondern das Thema muss in der Struktur, im Umgang miteinander und in der Unternehmensvision tief verankert sein.
Für einen Marketingexperten hast du deinen neuen Firmennamen „tochter“ ziemlich dem Zufall überlassen, indem du in einem Kinderbuch auf ein Wort getippt hast. Wieso hast du hier Fortuna walten lassen?
In vielen Fällen wird die Arbeit immer strategischer, was auch wichtig und richtig ist. Man kann aber trotzdem mal einen Impuls haben. Wichtig ist nur, dass man den Impuls validiert. Und das Gleiche war hier mit der Namensfindung. Mir war klar, was ich möchte, beziehungsweise was ich nicht möchte: Ich wollte keinesfalls, dass mein Name darin vorkommt oder auch keine Beschreibung der Profession. Der Name „tochter“ ist feminin, steht für die Zukunft, Wachstum, Wandel, Stolz, Menschlichkeit und ein großes Stück Hoffnung.
Und was hättest du gemacht, wenn der Zufall einen weniger coolen Namen ausgespuckt hätte?
Dann hätte ich die Firma nicht so genannt. Denn genau das ist der Punkt mit der Validierung. Wenn „Schaukelstuhl“ oder „Kartoffel“ herausgekommen wären, hätte ich trotzdem einen anderen Namen gewählt.
Wie geht richtige Kommunikation – nach außen und nach innen?
In der Podcast-Folge von beatframes meintest du, dass es in den letzten 30 Jahren in der Agenturbranche zwei Wege gab: den des „devoten Dienstleisters“ und den des „narzisstischen Werbe-Arschs“. Vor allem zweiteres sei für einen ziemlichen Vertrauensmangel in der Werbebranche verantwortlich. Wie sieht für dich erfolgreiche Kommunikation aus?
Ich wünsche mir eine Zusammenarbeit, in der Menschen gemeinsam anfangen zu arbeiten, dann geht es zur Organisation, weiter zur Marke und dann zur Kommunikation. Ehrliche Kommunikation beinhaltet auch, dass man Kund*innen sagt: „Spar dir für dieses Jahr lieber dein Werbe-Budget und steck das Geld in die Entwicklung eines neuen Produkts.“ Vielleicht hat genau dieser Ansatz viel mehr Einfluss und viel mehr Sichtbarkeit nach außen als es eine Kampagne je haben könnte. Für erfolgreiche Kommunikation muss es diese Offenheit auf beiden Seiten geben, damit beide Parts für den Erfolg des Unternehmens gleichermaßen verantwortlich sind und gemeinsam daran arbeiten.
Um von der externen Kommunikation zur internen zu kommen: Wie wichtig ist für dich das Team, mit dem du arbeitest? Was machst du konkret für interne Harmonie?
Vertrauen und Transparenz sind hierfür die wichtigsten Werkzeuge. Mir war interne Kommunikation immer schon enorm wichtig. Sogar so wichtig, dass die Informationen an die Organisation intern teilweise umfangreicher als Kund*innenpräsentationen waren. In den letzten zehn Jahren haben wir viele große Formate entwickelt, die auch sehr zeitaufwändig, aber essenziell waren: Wir hatten zum Beispiel wöchentliche Meetings am Freitag mit dem immer gleichen Aufbau zu Personen, Umsätzen, Urlauben, Events und Pitches. Der Fokus lag auf Transparenz. Wenn beispielsweise am Donnerstagabend jemand gekündigt hätte, wäre das genau so am Freitag im Meeting angesprochen worden. Es gab keine Zurückhaltung von Informationen. Außerdem gab es einmal im Monat die Möglichkeit, anonym Fragen zu stellen, die ich alle beantworten musste. Rund um die Pandemie haben wir auch stark nach innen kommuniziert. Es gab 24-Stunden-Seelsorge ab dem ersten Lockdown-Tag, Gespräche mit Psycholog*innen und einen Fokus auf Gesundheit und Leben. Egal, wie meine E-Mail-Adresse lautete, diese Themen waren und sind immer gleich wichtig.
Über Work-Life-Balance und gutes Essen in Wien
Du bist nun selbstständig. Wie ziehst du die Grenzen zur Freizeit und wie schaffst du es, abends mal abzuschalten?
Es gab Phasen in meiner beruflichen Laufbahn, da habe ich ohne Limit gearbeitet und meine Gesundheit teilweise aufs Spiel gesetzt. Im Jahr 2017 bin ich beispielsweise 120 Mal im Flugzeug gesessen, was richtig on the edge war. Für mich ist die wichtige Erkenntnis, dass es nicht um Work-Life-Balance geht, sondern um eine integrierte Life-Balance: nämlich etwas in der Arbeit machen, was auch Spaß macht. Natürlich ist das ein sehr privilegierter Standpunkt. Ich spreche hier nicht von einer Familie in Myanmar, die Fußbälle zusammennähen muss. Dort geht es nicht um eine Work-Life-Balance, sondern um Survival. In den letzten Jahren konnte ich glücklicherweise meine Freizeit und Auszeit mit der Familie gut managen. Gutes Essen und Trinken sind mir außerdem wichtig, sodass ich dem genug Platz in meinem Leben geben will. Das heißt nicht, dass alles nur toll ist und ich mit einer rosaroten Brille durchs Leben spaziere. Es gibt und gab auch Momente, die schwierig sind. Es geht darum, dass man Sorgen erkennt, wenn sie hochkommen, um damit zu arbeiten. Meine persönlichen Widerstände sind zum Beispiel meine Selbstzweifel, die mich regelmäßig belasten. Ich hatte noch nie Probleme damit, Probleme zu haben, weil ich immer offen über Dinge spreche. Problematisch wird es dann, wenn man versucht, diese wegzudrücken.
Wir von 1000things sind begeistert von den vielen To-dos in Österreich und geben sie gerne an unsere Community weiter. Da du selbst ein großer Freund des guten Essens und Trinkens bist: Hättest du zum Abschluss einen persönlichen Lokaltipp für uns?
Ich gebe euch lieber eine Empfehlung, wo ich morgen [Anm. Red.: Gespräch vom 14. Juli 2021] hingehe: das Belly of the Beast im neunten Bezirk. Das ist ein neues familiengeführtes Restaurant mit österreichisch-simbabwischer Bio-Küche, das sehr gute Kritiken bekommen hat. Viele Leute, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, gingen oder gehen alle dorthin. Deshalb muss ich es einfach ausprobieren.
Dann sagen wir schon mal Mahlzeit für morgen und bedanken uns für das tolle Gespräch.
Mit Konstantin Jakabb haben wir bereits kurz über das Thema Diversity-Management gesprochen. Wenn ihr noch mehr darüber wissen wollt, könnt ihr in unserem Blogbeitrag zu Diversität mehr dazu erfahren. Ihr interessiert euch für noch mehr Hot Topics aus der Agentur- und Medienwelt? Dann gibt’s hier auf einen Blick alle unsere Beiträge dazu.
(c) Beitragsbild | Manuel Hahn | 1000things